
Der Alte
Bier. Das war der Grund, immer wieder dort hinzugehen. Zu klopfen. Meistens abends. Auf der Suche nach Wärme. Einem väterlichen Rat. Vergessen.
Dann öffnete meistens das gleiche Gesicht. Alt. Gezeichnet vom Alkohol. Ob es Freude oder Genervtheit über den Besuch zeigte, geben die Erinnerungen nicht mehr her. Es folgte stets der gleiche Ablauf. Man setzte sich in der Ein-Zimmer-Wohnung auf eine abgenutzte Couch und wartete bis der Gastgeber ein Getränk anbot. Dann saß man da. Rauchte, trank und hörte gespannt den Geschichten des Alten zu.
Dieser vollzog sein immer gleiches Abendritual. Eine Flasche Rum gemischt mit Pulver Eistee. Dazu eine Zigarette nach der anderen. Er erzählte oft von früher. Als er jung war. Er hatte eine schwierige Kindheit, ging zum Militär. Arbeitete harte Jobs. Hatte als junger Mann einen Körper aus Stahl. Wenn man ihm zuhörte, umgab ihn seine Biografie wie eine einzigartige Aura. Wie es bei den meisten Menschen passiert, wenn sie aufrichtig von sich selbst erzählen. Heute arbeitete er in einem Krankenhaus. Schob Betten. Er kam nie zu spät oder betrunken zur Arbeit. Darauf war er stolz.
Er hatte eine Spiele Konsole. Stolz zeigte er sie einmal. Obgleich das Gerät hoffnungslos veraltet und staubig war, spielte der Besuch eines der Lieblingsziele des Alten. Mit einer angeschlossenen Plastikpistole imaginäre Gegner erschießen. Wenn gleich auch der Apparat ein Sinnbild für die traurige Nostalgie des Alten darstellte, zeigte dieser sich erstaunt über die Zielfähigkeiten des Besuchs.
Einmal gab der Alte einen väterlichen Rat. Was der konkrete Inhalt war, ist verblichen. Nur ein Satz ist geblieben. Egal was ist, dein Vater liebt dich.
Manchmal war der Alte nicht da. Dann streunte man herum, wartete vor der Tür. Blickte ins Fenster. Und wenn die Erkenntnis einsetzte, dass er heute nicht mehr kommen würde, stahl man sich beschämt davon.
Eines Tages hatte er Frauenbesuch da. Er öffnete die Tür nur in Unterwäsche. Er hatte einen Ausdruck im Gesicht, eine Mischung aus Verärgerung und Hilflosigkeit.
Heute nicht, war die knappe Antwort.
Als man am Fenster vorbei ging, konnte man Lachen hören und Gläser klirren.
Heute nicht.
Irgendwann kam man immer seltener. Irgendwann gar nicht mehr. Ob der Alte einen vermisste?
Jahre später sehe ich ihn manchmal noch, den Alten. In der Stadt. Er hat ein eingefallenes Gesicht und schiebt einen Rollator. Manchmal blickt er mich an. Sein Blick ist durchdringend, doch seine Augen scheinen soweit entfernt. Er erkennt mich nicht mehr.
Oder doch?